Rede von Michael Beltz im Stadtparlament zum Verbot der NPD-Demo

27. Juni 2011

Rede des Kommunisten Michael Beltz im Stadtparlament am 23.06.2011

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, meine Damen und Herren

zunächst will ich die Großartigkeit der Gießener Bündnisse „Gießen bleibt bunt“ und „Gießen bleibt nazifrei“ betonen. Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und viele politische, sportliche und andere Organisationen bekunden ihren Willen: Nazis haben keinen Platz in Gießen.

Wir fordern, den geplanten Nazi-Aufmarsch zu verbieten. Dazu verweise ich auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Dort heißt es in Artikel 139 : „Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus’ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ – Sie bleiben also in Kraft. Und für die, die das Potsdamer nicht mehr kennen – wollen, sei hier zitiert: Die Nationalsozialistische Partei, ihre Zweigeinrichtungen und die von ihr kontrollierten Organisationen sind zu vernichten…. Es sind Sicherheiten zu schaffen, dass sie in keiner Form wiedererstehen können…“

Max Reimann, Abgeordneter der KPD im westdeutschen Bundestag, sagt im Rahmen der Verabschiedung des Grundgesetzes: Wir werden diesem Grundgesetz nicht zustimmen, weil damit die Spaltung Deutschlands besiegelt wird. Es wird aber die Zeit kommen, da die Kommunisten das Grundgesetz gegen diejenigen verteidigen werden, die es 1949 durchgesetzt haben.

Mehr über… Stadtparlament (6)NPD-Demo (1)Nazifrei (1)Gießen bunt (1)Antifaschismus (10) Dies ist heute auch in Bezug auf das Verbot der NPD der Fall.

Noch im Aufnahmeantrag der BRD in die UNO 1973 wurde das Fortbestehen der Gültigkeit der antifaschistischen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens ausdrücklich bekräftigt.

Der Vollständigkeit halber sei noch die Hessische Verfassung zitiert, dort heißt es in Artikel 158:

„Die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte können nicht den Bestimmungen entgegengehalten werden, die ergangen sind…, um den Nationalsozialismus und den Militarismus zu überwinden und das von ihm verschuldete Unrecht wieder gut zu machen.“

Wir können hier nicht die Einhaltung des Grundgesetzes und ein Verbot aller faschistischen Organisationen beschließen, aber wir können hier beschließen, daß die NPD keine Genehmigung für einen Aufmarsch in Gießen erhält.

Mit einem solchen Verbot sollten wir ein Zeichen setzen, wie es zahlreiche andere Städte auch getan und Courage gezeigt haben:

Schweinfurt, Mainz, Leipzig, Schwerin, Ludwigshafen, Dortmund, Limburg, Passau, Greifswald, Hannover, in diesem Jahr Heilbronn und Bad Neundorf… (um nur einige zu nennen)… haben Nazi-Aufmärsche auf ihren Straßen verboten – auch im vollen Bewußtsein, daß das Verbot von Gerichten wieder aufgehoben werden kann – und leider auch wird. Sie haben damit nicht nur Gesicht gezeigt und die Bestimmungen des GG ernst genommen, sondern auch ein Signal an die Justiz gegeben, sog. Meinungsfreiheit nicht höher zu bewerten als Humanismus und Antifaschismus.

Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat z.B. ein Verbot für rechte Aufmärsche an Gräbern ausgesprochen. Auch für Wunsiedel gilt: kein Aufmarsch am Grab des Faschisten Rudolf Hess.

Die Angst vor einer Aufhebung des Verbotes durch ein Verwaltungsgericht ist doch armselig. Und erst recht der Hinweis auf folgende Kosten – das ist doch grotesk, wenn gerade in unserer Stadt Geld zum Fenster herausgeworfen wurde und wird, und die Bekämpfung von Faschisten nichts kosten darf.

Wir wollen nicht erneut das menschenverachtende Auftreten der Faschisten wie in Wetzlar erleben.

Was passiert, wenn den Faschisten nicht konsequent entgegengetreten wird, sieht man an der Situation in Wetzlar. Im Oktober 2008 konnten dort rund 350 Neonazis fast ungehindert ihren Aufmarsch durchführen. Es folgte eine massive Stärkung der rechten Szene in und um Wetzlar und einen Brandanschlag auf das Haus eines antifaschistisch engagierten kirchlichen Mitarbeiters. Wollen wir es in Gießen auch so weit kommen lassen? Im Internet wird auf Nazi-Seiten unumwunden gehetzt und zur Gewalt aufgerufen.

Aus der Geschichte haben wir zu lernen, dass die Ansicht, die Nazis werden schon abwirtschaften, falsch war. Auch die sog. Aufwertung der Nazis beruht auf einem falschen politischem Verständnis. Verbrecher werden nicht durch Zeitungsberichte aufgewertet, vielmehr wollen verantwortungsbewusste Journalisten vor Verbrechen warnen.

Besonders peinlich ist die Tatsache, dass die Veranstaltung der Eritreer nicht stattfinden kann. Das ist ein erster „Erfolg“ der NPD, die damit erreicht hat, dass 3 bis 5000 Menschen ihretwegen Gießen meiden und auf einen anderen Termin ausweichen müssen. Ein Dank an die Botschaft Eritreas erscheint doch ärmlich. Da frage ich mich, wurde die Botschaft darum gebeten, die Veranstaltung abzusagen.

Wenn die Faschisten kommen, müssen Ausländer zu Hause bleiben. Muss auch das Cafe „Mama Afrika“ in der Bahnhofstraße Rücksicht auf die Faschisten nehmen?

Was machen wir, wenn der Zentralrat der Juden eine größere Veranstaltung in Gießen plant? – und dann meldet sich kurzfristig die NPD für eine Demonstration an, um die Juden aus unserer Stadt draußen zu halten. Ob der jüdischen Gemeinde ein Dank für ihre erhoffte Zurückhaltung ausreicht? Ich glaube und hoffe nicht.

Meine Damen und Herren, wir haben den im GG und in der hessischen Verfassung aus der Geschichte erwachsenen Auftrag zu erfüllen: Verbot aller Nachfolgeorganisationen der Nazipartei und aller faschistischen Organisationen. Wir sagen: Rassismus, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit und Kriegshetze dürfen keinen Platz haben.

Wir sollten uns bei den Eritreern entschuldigen und dem von uns vorliegendem Antrag zustimmen.

Um dazu Mut zu machen, zitiere ich aus der Hessischen Verfassung Artikel 147: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist Jedermanns Recht und Pflicht.“